Koffer packen, Alltag vergessen – die Deutschen urlauben trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten so viel wie lange nicht. Bevorzugtes Verkehrsmittel ist seit 2023 nicht mehr das Auto, sondern das Flugzeug. Reiseforscherin Dr. Friedericke Kuhn kennt die Gründe und die neuesten Trends. Außerdem in der Titelstory: Tipps für gelingende Urlaubsfotos von Influencer Nordic Scott und Travel-Tricks von den Bloggern Nadine und Tobi Weber.
„Reisen ist unser größtes Hobby und wir lieben es, unterwegs zu sein“, sagt Nadine Weber.
„Tobi und ich verbringen eigentlich 100 Prozent unserer Urlaubstage im Ausland, und wenn es die Umstände zulassen, verbinden wir Auslandsaufenthalte mit der Arbeit – in Form von Workation.“ Passend zum Programm postet das Stuttgarter Paar unter dem Namen Vacationators Reisetipps und Erfahrungen auf der Plattform Instagram. „Unterwegs kommen uns die besten Einfälle“, berichten sie. „Alltagsaufgaben wie Wäschewaschen und Kochen tauschen wir gegen mehr Zeit für Content- und Business-Ideen.“
Dass nicht nur den Vacationators Abstand zum gewohnten Trott guttut, bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen. „Auf Reisen lässt sich der sogenannte kognitive Alltagsballast besser loslassen“, erklärt Tourismusforscherin Dr. Friedericke Kuhn. „Man denkt also weder an die unaufgeräumte Garage noch an soziale Verpflichtungen.“ Wer keinen Urlaub mache, gefährde gar die eigene Gesundheit. „Es entsteht eine absolut erhöhte Stressbelastung“, so Kuhn.
Für Influencer Mirko Büchte, dem als Nordic Scott auf den Social Media Kanälen Instagram und TikTok mehr als sechs Millionen Menschen folgen, steht ein weiterer Aspekt im Fokus: „Ich brauche das Reisen, um meine Kreativität wieder zu entfachen“, so Scott. „Wenn ich an einen neuen Ort komme, passiert etwas Magisches. Ich sehe andere Architektur, bemerke neue Gerüche, spüre die Sonne auf der Haut und plötzlich schießen die Ideen durch meinen Kopf.“
Bei der Planung handeln die meisten Menschen laut Kuhn ähnlich. „Zuerst entscheiden sie, wohin die Reise geht und dann, wie sie dorthin kommen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Bei sonst gleichwertigen Angeboten habe der Preis eine große Lenkungswirkung. „Ob Unterkunft, Essen und Trinken oder Freizeitaktivitäten – vieles hat einen Einfluss aufs Gesamtbudget. Und so kommt es, dass eine Reise nach Rom teils günstiger ist als ein Deutschlandurlaub, oder ein Trip nach Thailand preiswerter als die Auszeit in Portugal“, erklärt Kuhn, die als Projektleiterin die größte wissenschaftliche Marktforschungsstudie der deutschen Bevölkerung betreut. „Destinationen, an denen die Preise niedrig sind, rücken besonders in den Fokus, etwa die Türkei. Auch Montenegro und Albanien liegen im Trend“, analysiert die Wissenschaftlerin. „Und: In diesem Jahr brechen erstmals mehr Deutsche mit dem Flugzeug in ihren Haupturlaub auf als mit dem Auto. Ich erwarte, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt.“
„Unsere Analyse zeigt außerdem, dass Urlaubsreisen eine hohe Konsumpriorität haben“, sagt Kuhn.
Der Grund: Sie befriedigen wichtige Grundbedürfnisse. So lässt sich erklären, dass trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage kaum jemand daran denkt, am Urlaub zu sparen. „Neue Kulturen kennenlernen oder an einem sonnigen Strand chillen – wer in den Urlaub geht, möchte etwas erleben, das würdig ist, erzählt zu werden“, erklärt die Forscherin.
„Von Quietcation bis Setjetting – durch bestimmte Entwicklungen in der Welt entstehen neue Buzzwords“, erklärt Kuhn. Sie beschreiben Trends. Coolcation etwa stehe dafür, dass es Menschen in den wärmsten Monaten nach Nordeuropa zieht. In Zeiten des Klimawandels werde das Phänomen greifbarer. „An unseren Daten können wir jedoch keine starken Effekte ablesen“, sagt Kuhn. Vielmehr: Es gebe schon immer Leute, die nicht in heiße Urlaubsländer wollten, etwa Ältere und Familien mit kleinen Kindern.
Anders sieht es bei den Megatrends aus: Die Buchung im Internet beispielsweise. 2019 haben Ticketkäufe an PCs, Laptops oder Smartphones den Gang ins Reisebüro erstmals überholt. „Neu hinzu kommen KI-Anwendungen, die immer mehr wachsen. Da gibt es etwa Tools wie Emma, die virtuelle Reiseleiterin der deutschen Zentrale für Tourismus e. V.“, so Kuhn.
Auch die demographische Entwicklung ist ein Megatrend, der die Reisebranche beeinflussen wird. Denn die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge der 1955 bis 1969, gehen nacheinander in den Ruhestand. „Sie haben großes Interesse an der Welt und werden laut Prognosen oft auf Reisen sein. Verglichen mit vorherigen Rentner-Generationen sind sie im Durchschnitt wohlhabender“, berichtet Kuhn. „Aufgrund der alternden Gesellschaft wird Barrierefreiheit für die Reiseinfrastruktur in Deutschland immer wichtiger. Hier muss mehr gemacht werden. Rom ist ein gutes Vorbild: Die Sehenswürdigkeiten in der heiligen Stadt sind für alle gut zugänglich, auch mit dem Rollstuhl.“
Neben dem Preis und der Zugänglichkeit haben Influencer und ihr Content auf den sozialen Netzwerken großen Einfluss auf die Destinationswahl. Deshalb hat Kuhn untersucht, ob es sich für Ferienorte rentiert, einen speziellen Foto- oder Selfie-Spot zu errichten, um mehr Touristinnen und Touristen anzulocken. Das Ergebnis: Nur, wenn die Besucherlenkung drumherum gut durchgeführt wird. Als Creator kann Nordic Scott das bestätigen. „Reisen ist immer ein Gesamterlebnis. Von der Ankunft am Airport bis zum Essen in der Unterkunft – die Customer Journey als Paket muss stimmen, damit ein gutes Gefühl hängen bleibt.“
Scott selbst hilft dabei, dass auch ohne speziellen Spot schöne Fotos entstehen. „Für meine Beiträge überlege ich mir: Wie könnte ein kreatives Motiv an den meistbesuchten Orten aussehen? Daraus mache ich sogenannten teachable Content – Inhalt also, bei dem man etwas lernen kann“, sagt er.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Fotos dabei helfen, den Urlaubseffekt zu verlängern. „Mitbringsel wie T-Shirts, besondere Steine oder schöne Fotos können dafür sorgen, dass ein gutes Gefühl entsteht – sie haben also einen guten Einfluss auf unsere Psyche“, sagt Kuhn. Sie selbst hat sich nach ihrem Auslandsjahr in Kanada ein Tattoo stechen lassen. „Ein Maple-Leaf – immer wenn ich es ansehe, denke ich an die Zeit zurück“, sagt sie. In ihrer Dissertation befasste sie sich tiefergehend mit diesem Aspekt und stellte fest: „Ich bin keine Ausnahme. Für viele ist Reisen identitätsstiftend“, sagt sie. „Der Grund: Sowohl die Ausgestaltung der Reise als auch die Art und Weise, wie ich die Reiseerfahrung darstelle, liegt komplett in meiner Hand. Außerdem stecke ich während der Reise nicht in Alltagskonstrukten fest und kann meine Persönlichkeit frei entfalten.“ Dies sei gerade im Alter von 20 bis 25 Jahren wichtig für die Identitätsbildung.
„Durch das Verreisen werden Menschen weltoffener“, ergänzt Kuhn. „Das beeinflusst auch die Einstellung zur Nachhaltigkeit: Wer den Regenwald gesehen hat, findet ihn in der Regel auch schützenswerter“, erklärt sie. Tobi und Nadine Weber sehen das ähnlich und ergänzen: „Das Leben in Deutschland ist nicht selbstverständlich und auf Reisen wird einem das auch immer wieder bewusst. Nach der Rückkehr betrachtet man manches mit ganz anderen Augen“, so die beiden Vacationators und ergänzen: „Deshalb lieben wir das Reisen auch so sehr.“