Schon vor hundert Jahren hoben am Stuttgart Airport Passagiere ab: Damals waren das wenige Menschen mit viel Geld und viel Mut – und es dauerte eine ganze Weile, bis Flugreisen auch bei der breiten Masse ankamen. Die Flugblatt-Redaktion wirft einen Blick darauf, wie sich das Reisen über den Wolken im Laufe der Zeit verändert hat.
Wer 1924 in ein Flugzeug steigt, ist mutig. „Die ersten Passagierflugzeuge waren umfunktionierte Militärmaschinen, Bomber und Aufklärer, die im Ersten Weltkrieg entwickelt worden waren“, erzählt Dr. Thomas Kirstein von der Technischen Universität Berlin, der als Historiker u. a. zur Geschichte des Luftverkehrs forscht. „Die Maschinen damals boten Platz für maximal zehn Personen.“ Von Komfort ist zu dieser Zeit keine Spur: Die Kabinen sind eng, unbeheizt und laut, weil man das Dröhnen der Motoren in dem kaum schallisolierten Innenraum hört. Geflogen wird nach Bodensicht – und daher nur am Tage. Wenn die Reise länger geht, müssen die Fluggäste anschließend noch in die Eisenbahn umsteigen. Die ist den Passagieren dieser Zeit auch oft lieber, weil sie deutlich komfortabler ist. Bedient werden bis Anfang der 1930er-Jahre nur Destinationen innerhalb Europas. Schon der Beginn der Flugreise behagt nicht jedem: Statt durch eine Sicherheitskontrolle geht es zunächst über die Waage. Daran kommt niemand vorbei, denn der Pilot muss genau wissen, wie viele Kilos sich an Bord befinden. Damit nicht jeder das Gewicht der Mitreisenden erfährt, ist die Seite der Waage, die den Passagieren zugewandt ist, abgedeckt. In den Maschinen sitzen vor allem Männer, die geschäftlich unterwegs sind. In den Urlaub reist man zu dieser Zeit lieber mit dem Schiff oder mit dem Zug.
Zwischen den beiden Weltkriegen bleiben Flugreisen Luxus. Von Berlin nach Paris kostet ein One-Way-Ticket beispielsweise 100 Mark, für die wenigen Verbindungen über den Atlantik bezahlt man 900 Mark. Dieses Erlebnis bleibt nur einem kleinen Teil der Bevölkerung vorbehalten, denn der monatliche Durchschnittsverdienst in der deutschen Arbeiterschaft liegt in den 1920er- und 1930er-Jahren unter 200 Mark. Wer das nötige Budget besitzt, kann es sich dann aber allmählich in der Luft gut gehen lassen: Schon 1928 hat die Lufthansa als eine der ersten Fluglinien ein komplettes Menü im Programm, samt Tafeltüchern, Porzellan, Silberbesteck und frischen Blumen. „Die Hauptspeisen waren zwar noch kalt, Kaffee und Suppe konnte jedoch aus Thermoskannen warm serviert werden“, so Thomas Kirstein. „Verantwortlich für den Kabinenservice waren anfänglich noch die Piloten. In Deutschland flogen ab 1925 sogenannte Luftboys, deren Aufzug eher an Hotelpagen erinnerte.“ Der erste Stewart ist 1928 im Dienst. Bei der Lufthansa kommt weibliches Kabinenpersonal erstmals 1938 an Bord, in den USA ist dieser Job von Beginn an eher für Frauen gedacht. Nach der Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg entsteht innerhalb kurzer Zeit ein dichtes Liniennetz um den gesamten Globus. Eingesetzt werden neue, viermotorige Propellermaschinen mit schlanken, kreisrunden Rümpfen, leistungsleistungsstarken Kolbenmotoren und Geschwindigkeiten von 500 Stundenkilometern. Am STR wird das zivile Fliegen 1948 wieder aufgenommen. In den Maschinen sitzen weiterhin vor allem Vielflieger, eilige Reisende – also Geschäftsleute, Diplomaten oder Filmstars, für die es darum geht, zeitnah an ihrem Ziel anzukommen. „In den ersten Nachkriegsjahrzehnten reisten noch immer eher Männer mit dem Flugzeug“, erzählt Dr. Thomas Kirstein. „Elegante Damen zierten dafür häufig die Werbefotos der Airlines – als charmante Werbeträgerinnen und um mit ihren grazileren Körpermaßen die Enge der Flugzeuge zu kaschieren.“ Für viele Familien bleiben Flugreisen zu teuer, sie fahren lieber mit dem Auto nach Italien. Deswegen schrauben die Airlines ab den 1950ern an ihren Preisen. Die amerikanische Fluggesellschaft Pan Am, die von 1948 bis 1991 auch am STR startet und landet, unterscheidet als erste preislich zwischen zwei Klassen. Bis 1957 hat sich dieses Modell weltweit durchgesetzt, aus der zweiten Klasse wird 1958 die Economy Class.
Mit den schnellen Düsenmaschinen beginnt 1958 eine neue Ära. „Die Fluggäste waren begeistert und wollten nur noch im Jet reisen“, so Kirstein. „Die Flugzeugbauer kamen mit der Produktion kaum nach. Die Lufthansa erhielt ihre erste Boeing 707 im März 1960. Am Ende dieses Jahres flogen weltweit schon 300 Düsenmaschinen.“ Die neuartigen Jets sind größer und schneller, die Sitze bequemer und die Zahl der Mitreisenden steigt: Bis zu 150 Menschen passen nun in eine Maschine. Die neuen Flugzeuge halbieren die Reisezeit und machen Destinationen auf der ganzen Welt erreichbar: So benötigt man zum Knotenpunkt New York von Deutschland auf einmal nicht mehr 16 Stunden, sondern nur noch acht. Gleichzeitig sind die Düsen leiser als die Propeller, und die Erschütterungen sind weniger zu spüren. Auch das Innenleben in der Kabine ändert sich. „Kunststoffpaneele ersetzten edle Holzfurniere oder Stoff- und Lederbespannungen. Fenstervorhänge verschwanden zugunsten von Plastikblenden“, so Kirstein. „Ende der Sechzigerjahre wurde das Ambiente dem Zeitgeschmack entsprechend farbenfroh.“ So bunt bleibt es allerdings nicht lange: Spätestens ab den Achtzigerjahren dominieren mehr oder weniger weiße Plastik-Paneele und unauffällige Sitzbezüge. Mit den schnellen Jets wird das Fliegen hip. Die „High Society“ heißt bald nur noch „Jetset“ – und ihr Glamour strahlt auch auf die Economy-Klasse ab. Flugreisen sind nun auch effizienter und dadurch günstiger als Touren mit dem Schiff oder mit der Eisenbahn. In den 1970er-Jahren übernimmt das Flugzeug nahezu den ganzen globalen Passagierverkehr. „Spätestens jetzt verschwand auch das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern in der Passagierkabine, zumal auch immer mehr berufstätige Frauen zur Gruppe der Geschäftsreisenden zählten“, sagt der Technikhistoriker. In dieser Zeit verlieren die Airports endgültig jene Beschaulichkeit, die sie noch in den 1950ern zeigten. „Für Besucher gab es einst Aussichtsterrassen oder ein Gartenlokal, in dem sie bei Kaffee und Kuchen den Flugzeugen zuschauen konnten“, so Kirstein. „Doch der Massenflugverkehr beendete die Gemütlichkeit.“ Zudem
entstehen in dieser Zeit die ersten Sicherheitskontrollen.
In den späten 1970er-Jahren begann die Liberalisierung des Luftverkehrs: Regierungen reduzierten schrittweise ihren Einfluss auf Flugpreise und Liniennetze, und die Airlines bauten ihre Angebote entsprechend aus. „Sie bestuhlten ihre Maschinen noch enger und reduzierten Komfort und Service“, erzählt Kirstein. „Straffere Flugpläne brachten die Maschinen länger in die Luft, knappere Gehälter senkten die Lohnkosten und ein flexibles, nachfrageorientiertes Preissystem steigerte die Sitzauslastung.“ In Europa sind die Preise für die Economy-Klasse inzwischen um bis zu 75 Prozent gesunken. Fliegen ist billiger als Bahnfahren. Die sogenannten „Günstigflieger“ machen es allen möglich, nach Mallorca, auf die Kanaren oder an andere warme Ziele zu fliegen oder spontan übers Wochenende einen Kurztrip zu machen. Gebucht wird über das Internet. Ein günstiges Liniennetz entsteht vor allem innerhalb Europas und in den USA. Nach der Corona-Pandemie und wegen des Kriegs in der Ukraine sind die Preise für Flüge wieder leicht gestiegen. Dennoch gehören Flugreisen für die meisten Menschen zum Leben dazu: Sie stellen sich ihre Reisen oft selbst zusammen, teilen ihre Eindrücke in den sozialen Netzwerken und lassen sich von anderen inspirieren. Auf der anderen Seite gibt es den Trend, zunehmend nachhaltiger zu reisen – daran arbeitet auch der STR mit seiner Klimastrategie STRzero.
„Mit dem Flugzeug reisen heute so viele Menschen mit so wenig Aufwand an Zeit und Geld um den Globus wie nie zuvor. Einst ferne und exotische Orte liegen heute oft nur noch wenige Stunden entfernt."
Dr. Thomas Kirstein ist Historiker. Er lehrt und forscht unter anderem an der Technischen Universität Berlin und an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig.